Die Philosophie des Day One

In der Presseabteilung von Autobauer Ford ist es gern das weiße Blatt, auf dem alles – jede Idee, jeder Prototyp und jedes Serienmodell – ihre und seinen Start nimmt. In der Computerwelt ist es der berüchtigte biblische Biss in einen Apfel der Sorte Macintosh. Politisch ist der Day One nicht zuletzt Ground Zero, der 9/11. Der Anfang vom Ende. Und Neubeginn.

„Since day one“, von Kindesbeinen an, „since the first time I touched the pen“, seit ich das erste Mal einen Stift in der Hand hatte, so sagt es Musiker Kendrick Lamar („Poetic Justice“), wollte er der Beste in dem sein, was er macht. „I wanted to be the best at what I do.“

Und so gehört die Philosophie des Tags eins in Kreisen von Profimusikern, Sportlern, Unternehmensberatern, -chefs und ihren Verwandten seit einigen Jahren zum üblichen Wortschatz, wenn es um Motivation geht: „No day’s same.“

Das viel zitierte Schöne an ihrem Job? Alles mit Neugier anpacken. Ergebnisoffen. Vorurteils- und scheubefreit. Interessiert und auf den Punkt gedacht. So, als wäre es alles das erste Mal, was man den Tag über so macht.

Man könnte auf die Idee kommen, den Throwback Thursday gäbe es lediglich am Donnerstag, und aus dem totalen Hangover zurück ins Leben zu krabbeln, so etwas können/müssen doch nur Trinker oder Junkies.

Am Tag der eigenen Geburt erwachen, jeden Tag neu ins Leben zurückkehren, über den Tag die Stationen des Lebenslaufs abklappern – um zwischendurch wie am Ende des Tages vermeintlich so etwas wie Sicherheit zu finden und, (künstlich) gealtert, als Greis einzuschlafen: Auf diese Art wachsen jedoch alle Menschen immer wieder aufs Neue auf.

Evolutionswissenschaftler nennen das ein Phänomen von Infatuation, gepaart mit dem Wunsch nach ewiger Juvenilität. „Infatuated to be-friend by process“, das 
heißt frei übersetzt so viel wie: „Ich gehe hier gerade mit ein paar Leuten schwanger.“ Bis alle da sind. Bis alle versöhnt sind mit sich und der Welt. Literarisch bis der sprichwörtliche Lindwurm den Maskenball des Karnevals erobert und der große Ringelnatz zum Anfassen beginnen kann.

Relations matter – mehr denn je. Die Begegnungen des (Alltags-)Lebens an Körper und Geist angedockt, das ist das Leben einer zusammensteckbaren Matroyshka-Puppe beziehungsweise Familie, die es in unzähligen Bruchteilen von Augenblicken und Momenten auseinanderzunehmen gilt. Der Mensch? Er ist eine Piñata. Eine bunte, mit Süßigkeiten gefüllte Figur aus Pappmaché, die bei Kindergeburtstagsfeiern zerlegt wird.

Jeder Morgen ist wie der Beginn der dazugehörigen Party: So jung kommen wir nicht mehr zusammen – und vor allem kaum mehr in dieser Zusammensetzung. Für ihre alltäglichen Spiele ohne Grenzen synchronisieren die computerisierten Clouds und die sozialen Netzwerke die virtuelle Welt mit der „Realität“. Zum Beispiel durch Motion Sync, die Angleichung der Eigenarten, Charakteristika und Bewegungsmuster innerhalb von Kohorten, Freundeskreisen und Krabbelgruppen.

Medien und ihre Botschaften, sie sind in Körper und Kreislauf spürbar. Cloud Computing und Künstliche Intelligenz schicken die Menschen auf Reisen durch ihr Leben. Beispielsweise, um Themen auf die Agenda zu setzen. 
Etwa, um dank der Diskurse um Atomspaltung oder Ernährungsgewohnheiten die eine oder andere Beziehung zu splitten – Stichworte Halbwertszeiten und 
Verfallsdaten. Oder aber um die Milchzähne der Kleinsten (gefühlt) solange nachwachsen zu lassen, bis die Vorherrschaft der alten weißen Männer gebrochen ist. 

Einerseits beschert das Konzernen und Staat Markt- und Deutungsmacht. Andererseits gibt es Menschen die Möglichkeit, Erinnerungen an die Erlebnisse des Lebens in anderen Leuten und Dingen, die den Weg kreuzen, zu finden. Kenn' ich – bei mir ist das alles so …

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